Handelt es sich bei Wohngebietkarten um urheberrechtlich geschützte Werke? Erläuterung des 'Japanese Zenrin'-Urheberrechtsstreits im Jahr 2022 (Reiwa 4)
Was genau bezeichnet der Begriff “Werk” im Sinne des Urheberrechtsgesetzes? Beispiele für Werke, die einem sofort in den Sinn kommen, sind Romane, Gemälde oder Musikstücke. Aber zählt eine Karte auch zu den Werken, die urheberrechtlich geschützt sind? Obwohl das Urheberrechtsgesetz Werke explizit als schützenswert aufführt, ist die Beurteilung aufgrund von früheren Gerichtsentscheidungen, die darauf hinweisen, dass Karten nur wenig Raum für individuellen Ausdruck bieten und im Vergleich zu literarischen, musikalischen oder bildenden Kunstwerken eine geringere Kreativität aufweisen, schwierig.
In dieser Angelegenheit hat das Tokioter Bezirksgericht im Jahr 2022 entschieden, dass Wohngebietskarten als “Werke” im Sinne des Urheberrechtsgesetzes anzusehen sind. Kläger war die Aktiengesellschaft Zenrin, ein Unternehmen, das sich mit der Erforschung, Erstellung und dem Verkauf von Kartenmaterial beschäftigt. Zenrin hatte gegen ein Postverteilungsunternehmen und dessen Geschäftsführer, die wiederholt unerlaubte Kopien und Verbreitungen von Zenrins Wohngebietskarten vorgenommen hatten, eine Klage wegen Urheberrechtsverletzung und Unterlassung eingereicht, was den Ausgangspunkt des Falles darstellte.
Hier werden wir den Fall der Zenrin-Wohngebietskarten aus dem Jahr 2022 genauer erläutern.
Ist ein Wohngebietplan ein urheberrechtlich geschütztes Werk?
Die Klägerin Zenrin ist das führende Wohngebietkartenunternehmen in Japan. Das Unternehmen erforscht landesweit Kartendaten und erstellt und verkauft Wohngebietkarten in Papierform, die “Zenrin Wohngebietkarten”, sowie elektronische Wohngebietkarten “Digital Town”, die auf CD-ROM und ähnlichen Medien gespeichert sind.
Die beklagte Posting-Firma ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die sich hauptsächlich in der Präfektur Nagano darauf spezialisiert hat, Werbematerialien in Haushalte zu verteilen.
Überblick über den Zenrin Wohngebietkarten-Fall
Die Beklagte erwarb die Wohngebietkarten von Zenrin für ihre Geschäftstätigkeit. Für jeden Verteilungsbereich, in dem die Zusteller tätig waren, kopierte und verkleinerte sie die erworbenen Karten, fügte mehrere Blätter zusammen und erstellte eine Originalkarte, in die sie notwendige Informationen für die Posting-Aktivitäten eintrug, wie Namen von Wohnkomplexen, Anzahl der Briefkästen, Verteilungsmengen, Kreuzungsnamen, Straßenzustände und Häuser, bei denen die Verteilung verboten war. Diese Originalkarten wurden kopiert und den Zustellern für die Verteilung übergeben.
Zusätzlich fügten die Beklagten, sobald sie weitere Informationen wie die Anzahl der verteilbaren Exemplare, Unterscheidung zwischen leerstehenden und verlassenen Häusern, Neubauten, neu angelegte Straßen, Eingänge und Positionen der Briefkästen erhielten, diese Informationen laufend in die Originalkarten für die Posting-Aktivitäten ein und übergaben Kopien davon an die Zusteller.
Daraufhin behauptete Zenrin, dass das Kopieren, Ausschneiden und Zusammenkleben der von ihnen erstellten und verkauften Wohngebietkarten, um Karten für Posting-Aktivitäten zu erstellen, sowie das Kopieren, Übertragen oder Verleihen dieser Karten an die Öffentlichkeit und das Veröffentlichen der Bilddaten der Karten auf Webseiten innerhalb einer verwalteten Website, eine Verletzung der Urheberrechte an den genannten Karten darstellt (einschließlich des Rechts auf Vervielfältigung, Übertragung, Verleih und öffentliche Übermittlung). Zenrin forderte von der Posting-Firma und deren Vertreter die Zahlung eines Teils des Schadensbetrags und gemäß den Artikeln 112 Absatz 1 und 2 des japanischen Urheberrechtsgesetzes eine Unterlassung der Vervielfältigung und öffentlichen Bereitstellung durch Übertragung oder Verleih sowie die Vernichtung der kopierten Karten.
Verwandter Artikel: Urheberrechtsverletzung durch Bilder ‘Schadensersatzrichtlinien’ und zwei Fallbeispiele erklärt[ja]
Kriterien für die Beurteilung, ob eine Karte ein urheberrechtlich geschütztes Werk ist
Artikel 10 Absatz 1 des japanischen Urheberrechtsgesetzes listet beispielhaft Werke auf, die unter dieses Gesetz fallen, und Nummer 6 bezieht sich auf “Karten oder wissenschaftliche Zeichnungen, Diagramme, Modelle und andere grafische Werke”, womit festgelegt ist, dass Karten urheberrechtlich geschützte Werke sind.
Andererseits wird in einem Urteil aus dem Jahr 2001 (Heisei 13) festgestellt, dass “Karten, die die Topographie und die Nutzung des Landes objektiv unter Verwendung bestimmter Symbole darstellen, wenig Raum für individuelle Ausdrucksformen lassen und im Vergleich zu literarischen, musikalischen und bildenden Kunstwerken weniger kreativ sind” (Urteil des Bezirksgerichts Tokio vom 23. Januar 2001).
Dennoch stellt dasselbe Urteil fest, dass “bei der Auswahl und Darstellung der aufzuführenden Informationen die Individualität, das Wissen, die Erfahrung und das Ausmaß der Vor-Ort-Untersuchungen des Kartenherstellers eine wichtige Rolle spielen können, sodass hier Kreativität zum Ausdruck kommen kann” (ebenda).
Zusammenfassend wird hinsichtlich der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Karten festgestellt, dass “die Auswahl und Darstellung der aufzuführenden Informationen insgesamt zu beurteilen sind”.
Kann Kreativität in Wohngebietskarten als urheberrechtlich schützenswert anerkannt werden?
In diesem Fall war strittig, ob Wohngebietskarten als kreatives Werk angesehen und somit urheberrechtlicher Schutz gewährt werden kann.
Die Argumentation von Zenrin
Der Kläger Zenrin hat aus den folgenden Gründen behauptet, dass Wohngebietkarten Kreativität aufweisen und als kartographische Werke gelten.
- Die Wohngebietkarten von Zenrin wurden durch detaillierte Vor-Ort-Erhebungen zahlreicher Ermittler erstellt, die präzise und genaue Informationen sammelten. Dabei wurde besonderer Wert darauf gelegt, wie die Karteninformationen korrekt angeordnet und dargestellt werden können und wie sie für die Nutzer übersichtlich und verständlich gestaltet werden können. Dies erforderte Erfindungsreichtum und Kreativität und führte zu einer einheitlichen Bearbeitung.
- Die auf jeder Karte verzeichneten Hausumrisse (Rahmenlinien, die die Form von Gebäuden von oben darstellen) werden von den Ermittlern vor Ort festgelegt, indem sie die Lage und Länge grob schätzen, während sie die Beziehung zu umliegenden Gebäuden betrachten. Daher wird nicht jeder Ermittler dieselbe Form erzeugen, und die individuelle Einschätzung des Ermittlers wird zwangsläufig sichtbar.
- Es gibt so viele Variationen in der Darstellung von Hausumrissen, wie es Unternehmen gibt, die Wohngebietkarten erstellen. Die Karten des Klägers haben aus einer Vielzahl von Optionen (Dicke und Länge der Linien der Hausumrisse, Schriftarten der innerhalb der Hausumrisse verzeichneten Bewohnernamen usw.) eine spezifische Darstellungsweise gewählt.
- Bei der Erstellung jeder Karte wird zwar auf die Grundkarten für Stadtplanung des Geospatial Information Authority of Japan (japanisches Äquivalent) Bezug genommen, jedoch unterscheiden sich die Karten des Klägers und die Grundkarten für Stadtplanung optisch stark voneinander. Die Grundkarten für Stadtplanung, die lediglich Informationen aus Luftbildern zu topographischen Karten hinzufügen, und die Karten des Klägers, die durch Vor-Ort-Erhebungen erstellt und mit den für notwendig erachteten Informationen versehen wurden, sind vollkommen unterschiedliche Karten.
Die Behauptungen des Verteilungsunternehmens
Das beklagte Verteilungsunternehmen hat argumentiert, dass die Wohngebietkarten von Zenrin keine Kreativität aufweisen und daher nicht als urheberrechtlich geschützte Werke gelten, aus folgenden Gründen:
- Obwohl die Anerkennung von Karten als urheberrechtlich geschützte Werke generell restriktiv gehandhabt wird, ist die Anerkennung bei Wohngebietkarten im Vergleich zu anderen Kartenarten noch weiter eingeschränkt.
- Sowohl der Kläger als auch andere Unternehmen, die Wohngebietkarten erstellen, haben ihre Karten auf der Grundlage bereits existierender Karten entwickelt, was den Spielraum für Kreativität in jeder Karte stark begrenzt.
- Es gibt bereits früher erstellte Wohngebietkarten, die Hausumrisse enthalten, und die Verwendung von Hausumrissen als Darstellungsform ist weit verbreitet und nicht einzigartig für die Karten des Klägers.
- Von den in den Karten des Klägers enthaltenen Hausumrissen stammen 84,7 % aus dem Grundplan der Stadtplanung, und die neu hinzugefügten Hausumrisse machen weniger als 1 % aus.
Entscheidung des Gerichts
In Anbetracht dessen hat das Tokyo District Court (Tokioter Bezirksgericht) festgestellt, dass die Wohngebietkarten von Zenrin:
- auf Basis von Stadtplänen und ähnlichen Unterlagen digitalisiert wurden und durch das Hinzufügen verschiedener Informationen zu vollständigen Wohngebietkarten vervollständigt wurden.
- mit Skalen an den vier Rändern der Karte versehen sind und die Nummern der angrenzenden Karten an den Positionen oben rechts, rechts, unten rechts, unten, unten links, links und oben links angegeben sind, was die Suche nach der gewünschten Karte erleichtert.
- die Grenzlinien zwischen Straßen oder Gehwegen und Wohngrundstücken als durchgezogene Linien und die Grenzlinien zwischen Straßen und Gehwegen als gestrichelte Linien darstellen, zusätzlich sind Flüsse, Eisenbahnlinien, Mittelstreifen von Straßen und ähnliches verzeichnet.
- auf den Grundstücken der Karte Hausumrisse eingezeichnet sind, die die Form der Gebäude von oben betrachtet darstellen, und innerhalb dieser Umrisslinien sind die Namen der Bewohner, Geschäftsnamen oder Gebäudenamen angegeben.
Zudem sind auf Land, das als Parkplätze oder Parks genutzt wird, die Namen der Parkplätze oder Parks verzeichnet.
Das Gericht hob diese und weitere Merkmale hervor.
Die Karten des Klägers wurden unter Verwendung von Stadtplänen als Grundlage erstellt, wobei Informationen aus zuvor vom Kläger erstellten Wohngebietkarten eingetragen und durch Feldforschung von Inspektoren, die die Form der Hausumrisse vor Ort untersuchten, ergänzt wurden. Die Karten sind so gestaltet, dass sie leicht zu durchsuchen sind, und durch die Verwendung von Illustrationen werden Einrichtungen leicht erkennbar dargestellt. Namen von Straßen und Bewohnern, Adressangaben und Hausumrisse, die die Form der Gebäude von oben betrachten, sind eingetragen. Über Jahre hinweg hat der Kläger entschieden, welche Informationen für Wohngebietkarten notwendig sind, und diese in einer als übersichtlich erachteten Weise dargestellt. Daher können die vom Kläger neu herausgegebenen Karten als Werke angesehen werden, in denen die Gedanken oder Gefühle des Erstellers kreativ zum Ausdruck kommen (Artikel 2 Absatz 1 des Japanischen Urheberrechtsgesetzes), und es ist angemessen, sie als Kartenwerke (Artikel 10 Absatz 1 Nummer 6 des Japanischen Urheberrechtsgesetzes) anzuerkennen.
Tokyo District Court Urteil vom 27. Mai 2022 (Reiwa 4)
Demzufolge erkannte das Gericht die Wohngebietkarten von Zenrin als urheberrechtlich geschützte Werke an und stellte fest, dass das Kopieren und Übergeben der Originalkarten, das Verteilen der Originalkarten an Franchise-Nehmer und das Veröffentlichen der Bilddaten auf Webseiten eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts, des Verbreitungsrechts und des Rechts der öffentlichen Übermittlung darstellen. Das Gericht ordnete an, dass die Beklagten die Verletzung dieser Rechte unterlassen und einen Teil des durch die Vervielfältigung von etwa 970.000 Seiten entstandenen Schadens in Höhe von etwa 210 Millionen Yen, nämlich 30 Millionen Yen, zu zahlen haben.
Verwandter Artikel: Risiken von Verletzungen des geistigen Eigentums wie Patente, Marken und Urheberrechte und deren Gegenmaßnahmen[ja]
Es sei darauf hingewiesen, dass dieser Fall in der Berufungsinstanz durch einen Vergleich beigelegt wurde und das Verfahren damit beendet ist.
Zusammenfassung: Vorsicht bei der Nutzung von Werken innerhalb und außerhalb des Unternehmens
Allgemein gilt, dass Karten, die Phänomene wie Geländeformen oder die Nutzung von Land mittels festgelegter Symbole objektiv darstellen, wenig Raum für individuelle Ausdrucksformen bieten. Verglichen mit literarischen, musikalischen oder bildenden Kunstwerken ist der Schutzumfang durch das Urheberrecht meist geringer. Wenn jedoch bei der Erstellung von Wohngebietskarten durch die Auswahl und Darstellung der Informationen Kreativität, Wissen und Erfahrung des Kartografen zum Ausdruck kommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Karte als urheberrechtlich geschütztes Werk anerkannt wird.
Das einfache Kopieren von Wohngebietskarten zur Nutzung im Unternehmen kann eine Urheberrechtsverletzung darstellen. Ähnlich verhält es sich mit Zeitungsartikeln, bei denen die Rechtsprechung die Urheberrechtsschutzfähigkeit anerkannt hat. Weitere Informationen hierzu finden Sie im folgenden Artikel.
Verwandter Artikel: Ist das Reposting von Zeitungsartikeln im Intranet OK? Erläuterung der Rechtsprechung zum Urheberrecht von Zeitungsartikeln[ja]
Maßnahmen unserer Kanzlei
Die Monolith Rechtsanwaltskanzlei verfügt über umfangreiche Erfahrungen in IT, insbesondere im Bereich Internet und Recht. In den letzten Jahren haben geistige Eigentumsrechte, einschließlich Urheberrechte, zunehmend Aufmerksamkeit erlangt. Unsere Kanzlei bietet Lösungen im Bereich des geistigen Eigentums an. Weitere Details finden Sie im folgenden Artikel.
Bereiche, die von der Monolith Rechtsanwaltskanzlei abgedeckt werden: IT- und geistiges Eigentumsrecht für Unternehmen[ja]
Category: Internet